Unsere Fragen an Frau Dr. Palm zum Thema Retail:
Hallo Frau Dr. Palm, vielen Dank, dass Sie sich Zeit für einen Austausch zur aktuellen Situation und deren Auswirkungen auf den Retailmarkt nehmen. Gerade die Einzelhandels- und Gastronomiebranche trifft die derzeitige Situation schwer. Was sollten Vermieter und Mieter, die sich aktuell in Mietvertragsverhandlungen befinden, auf Grund der momentanen Situation beachten?
Antwort: Befinden sich Vermieter und Mieter in aktuellen Mietvertragsverhandlungen, sollten sie die Thematik der Corona-Krise ausdrücklich besprechen. Es bietet sich in jedem Fall an vor Abschluss des Mietverhältnisses zu klären, wie man mit Corona-bedingten Engpässen umgehen möchte und wer in welchem Maße die Risiken zu tragen hat. Die Lösungsmöglichkeiten sind naturgemäß breit gefächert. Es gibt aus rechtlicher Sicht bereits „Corona-Klauseln“, welche derzeit in die Mietverträge eingepflegt werden. Diese „Corona-Klauseln“ haben wir für sämtliche Interessenlagen entwickelt.
Frage: Welche Optionen habe ich, wenn durch die Coronakrise und die ohnehin schon angespannte Situation im Bereich der Einzelhandels- sowie Gastronomflächen eine Vermietung meiner Mietfläche nicht mehr nachhaltig möglich ist?
Antwort: Wenn eine ordnungsgemäße Vermietung der Mietfläche nicht mehr nachhaltig möglich ist, können zunächst die staatlichen Förderprogramme in Anspruch genommen werden. Der Staat stellt derzeit eine Vielzahl an Hilfspaketen zur Verfügung. Auch kann man sicher darüber nachdenken, ob man die Räumlichkeiten anderen Nutzungszweigen zugänglich macht. So können Ladenlokale beispielsweise auch in Büroflächen umgebaut werden. Rechtlich bedürfte es hierzu einer Nutzungsänderungsgenehmigung. Dies sind aber Einzelfallfragen die sich wohl erst beantworten lassen, wenn man absehen kann, wie lange die Krise dauert und welche bleibenden Schäden der Immobilienmarkt genommen hat bzw. welche Veränderungen dieser Markt bleibend erfahren wird. Eine befriedigende Antwort bezogen auf eine langfristige Perspektive kann ich Ihnen auf diese Frage daher derzeit nicht geben.
Kommt es allerdings zu kurzfristigen Engpässen, da der Mieter beispielsweise die Miete Corona bedingt nicht zahlt und ist die Immobilie finanziert, so gibt es die Möglichkeit die Darlehensraten stunden zu lassen. Am 25.03.2020 hat der Bundestag das Gesetz zur Abmilderung der Covid-19-Pandemie im Zivil-, Insolenz- und Strafverfahrensrecht beschlossen, welches am 27.03.2020 den Bundesrat passiert hat. Dieses Gesetz beinhaltet in Art. 5 § 3 auch Regelungen zu Darlehensverträgen. Diese Regelungen besagen zusammengefasst, dass der Darlehensnehmer die üblicherweise monatlich zu erbringenden Zins- und Tilgungsleistungen im Zeitraum vom 01.04.-30.06.2020 nicht zu erbringen hat, wenn er Corona bedingt hierzu nicht in der Lage ist. Wann dies wiederum der Fall ist, ist nicht konkret geregelt und Auslegungsfrage. Bleiben bei dem Vermieter die Mietzahlungen aus, da der Mieter Corona-bedingt nicht zahlen kann, dürfte die Regelung einschlägig sein. Wird das Darlehen im Ergebnis gestundet, verlängert es sich - wenn keine abweichende Regelung mit der finanzierenden Bank getroffen wird - um 3 Monate. Mit Ablauf der Stundungsfrist wären nämlich sonst zum 30.06.2020 die 3 gestundeten Zahlungen auf Zins und Tilgung sowie die laufenden Zahlungen fällig. Dies könnte dann zum 30.06.2020 zu einer Überlastung des Darlehensnehmers führen. Deshalb sieht das Gesetz vor, dass der gesamte Vertrag in diesen Fällen um 3 Monate verlängert wird.
Frage: Welche Möglichkeiten habe ich, wenn ich durch die Folgen der Coronakrise - trotz der staatlichen Überbrückungsmöglichkeiten – meine Mietvertragspflichten nicht mehr erfüllen kann?
Antwort: Kann ein Mieter durch die Folgen der Corona-Krise trotz der staatlichen Überbrückungsmöglichkeiten seine Mietvertragsverpflichtungen nicht mehr erfüllen, so kommt ihm zunächst zugute, dass durch das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht ein Kündigungsausschluss - zunächst befristet bis zum 30.06.2020 - wegen rückständiger Mieten vorgesehen ist. Die in dem Zeitraum vom 01.03 bis 30.06.2020 nicht gezahlten Mieten müssen dann allerdings bis zum 30.06.2022 zurückgezahlt werden. Auch fallen unter Umständen Verzugszinsen an oder es sind sogar Schadensersatzansprüche der Vermieter denkbar. Nicht ausgeschlossen ist durch dieses Gesetz auch die gerichtliche Geltendmachung der Mietforderung oder die Kündigung des Mietverhältnisses aus anderen Gründen. Ich empfehle daher, dass der in einen finanziellen Engpass geratene Mieter an den Vermieter herantritt und mit diesem nach einer im Interesse beider Parteien liegenden Lösungsmöglichkeit sucht. Eine solche könnte beispielsweise sein, die Mietzahlungen zunächst einvernehmlich auszusetzen oder zu reduzieren und im Gegenzug eine Verlängerung des Mietverhältnisses oder eine Mieterhöhung nach Beendigung der Krise zu vereinbaren. An einer solchen Lösung dürften gerade institutionelle Vermieter ein Interesse haben, da dies die Werthaltigkeit ihrer Immobilie steigert.
Das Interview wurde geführt mit Frau Dr. Palm, Partnerin der Rechtsanwaltskanzlei Busse & Miessen, Friedensplatz 1, 53111 Bonn.
Rechtsanwältin Dr. Vanessa Palm ist Fachanwältin für Bau- und Architektenrecht und berät und vertritt vornehmlich Investoren, Vermieter, Mieter, Bauunternehmer, Architekten und Ingenieure sowohl außergerichtlich als auch gerichtlich rund um die Immobilie.
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